Wir hoffen, Ihr seid neugierig auf unsere Beiträge in unserem Blog „Moment mal?“. Es gibt interessante Details, die Lust auf unsere Rundgänge machen sollen; Themen, die in (noch) keinen unserer Rundgänge passen; Artikel über die Lieblingsthemen unserer Rundgangsleiter/innen und vieles mehr…
Als es in Dresden noch die „Fahrt ins Blaue“ gab
16. Februar 2022 von Andreas Them/Dr. Michael Böttger
Erich Kästner bezeichnete es einst als „eine halbamtliche Einrichtung“ in seiner Geburtsstadt. Die Rede ist von der „Fahrt ins Blaue“, einer Geschäftsidee der „Dresdner Straßenbahn AG“, um neue Kunden zu gewinnen. In den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte auch der örtliche Verkehrsbetrieb empfindliche Einnahmerückgänge zu verzeichnen. Die Erwerbslosigkeit stieg in enorme Höhen und für die Betroffenen oder anderen Geringverdienern hieß es zu sparen. So auch beim Straßenbahntarif. Verständlich, wenn schon in den zeitgenössischen Geschäftsberichten erkannt wurde, dass viele treue Fahrgäste zu Radfahrern wurden. Die damalige Werbeabteilung war gefordert, mit neuen Angeboten, diesem Rückgang entgegenzuwirken und sie fanden mit dem Ausflugsverkehr ein neues Geschäftsfeld.
Die Premiere für die „Fahrt ins Blaue“ war am 5. August 1933. Die Station zur Abfahrt lag in unmittelbarer Nähe des Dresdner Hauptbahnhofes am Gleisdreieck an der Reitbahnstraße. Eine wahre Straßenbahnparade wurde damals zusammengestellt. Den Anfang bildete ein MAN-Straßenbahnwagen mit der Wagennummer 730, wie man ihn aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg noch kannte. Jener bot, wie damals üblich, gerade einmal 22 Quersitze. Anders sah es dann schon in den nachfolgenden „Hechtwagenzügen“ aus. Innerhalb nicht einmal zweier Jahrzehnte gab es mit dem Stahlbeiwagen über 70 Sitzplätze für eine Straßenbahnfahrt. So standen sie hintereinander in einer Reihe auf dem Gleis. Drei Fragezeichen schmückten die Straßenbahnwagen und der Zielort war unbekannt.
Gerüchte machten die Runde. Wo war wohl die nachmittägliche Tafel gedeckt? Schließlich enthielt der für 1,50 RM erworbene Fahrschein Bons für ein kostenloses Kännchen Kaffee und zwei Stücke Kuchen. Sicherlich wird es einer der zahlreichen Ausflugsgaststätten am Dresdner Stadtrand sein! Erich Kästner bezeichnete sie als „ländliche Juwelen“ und nennt in seinem Rückblick z.B. den „Schänkhübel“ in Klotzsche. Ein optimales Fahrziel! Gleich vor der Lokalität gab es eine Straßenbahn-haltestelle. Weitere längere Fußwege blieben der ausflugshungrigen Kundschaft erspart. Und durch die nahe Anbindung an den örtlichen Straßenbahnverkehr war auch jederzeit eine pünktliche Heimkehr gesichert. Ein Angebot einer Sonderfahrt, welches besonders bei den Dresdner Hausfrauen, großen Anklang fand. Denn daheim warteten bereits der angetraute Ehemann und die Kinder auf die Zubereitung des Abendbrotes. Und von ihrer „Kaffeefahrt“ hatte sie viel zu berichten. Die Neugier wuchs und die „Fahrt ins Blaue“ entwickelte sich in den kommenden Jahren als eine Möglichkeit eines spannenden Familienausfluges.
Das bezeugen auch statistische Angaben aus den Geschäftsberichten der „Dresdner Straßenbahn AG“ von 1933 bis 1938. In den ersten beiden Jahren gab es 42 bzw. 41 solcher Sonderfahrten zur wärmeren Jahreszeit. Dann verringerte sich das Angebot. Die Nachfrage nahm ab und die ab Oktober 1933 angebotene „Fahrten ins Schwarze“ (in den Abendstunden) konnten an die ursprüngliche Geschäfts-idee nicht mehr anknüpfen. So auch die erste Idee von Stadtrundfahrten mit der Straßenbahn im Jahre 1936. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges war auch dieses bereits Geschichte. Es ist nun über achtzig Jahre her, als es in den Sommermonaten letztmalig die „Fahrt ins Blaue“ gab.
Mit freundlicher Genehmigung Archiv/Informationsstelle DVB AG
Warum der Georgplatz nicht Körnerplatz heißt
7. Februar 2022 von Una Giesecke
Kaum ein Dresdner weiß, wo der Georgplatz genau ist, so wenig blieb 1945 von ihm übrig. Dabei drehen hier die Kontraste am Rad. Im Takt der Ampeln rollen Reifen, summen Gleise, brummen schwere Transporter metallquietschend um die Kurve. Dohnaischer Platz hieß die heutige Drehscheibe einst nach dem Schlagbaum an der Schlagader, die bis heute von und nach Dohna pulsiert. Rot zwingt Räder wie Füße zum Stillehalten, ungeduldig blickt alles auf die Signalgeber, niemand beachtet die unscheinbare Mitte. Grün spült den Verkehrslärm auf dreispurigen Fahrbahnen autobahnartig um einen Nichtort: Keine Wohnadresse, sondern drei geschorene Grasflecke zwischen Waisenhausstraße und Bürgerwiese, zerschnitten von der St.Petersburger Straße – das ist Dresdens irrste Magistralenkreuzung: der Georgplatz. Schilder auf der Mittelinsel weisen den Namensgeber aus: jenen Sachsenkönig, den der Volksmund als »Grämlichen« titulierte. Seit dem 13. Februar 1945 fassungslos, bietet der Platz nur einen Blickfang: das Bronzestandbild, weswegen er eigentlich Körnerplatz heißen müsste. Aber den gibt es schon für den Dresdner Christian Gottfried. Den Sohn Theodor, Freiheitsdichter und berühmt durch »Lützows wilde, verwegene Jagd«, ehrt alljährlich hier ein Kranz vom Stammtisch Albertstadt – Preußisches Viertel.
Manfred Buder räumt freimütig ein: »Körner war ein hübscher, verzogener Bengel, ein raufender Saufbold und Studienabbrecher. Und diese Wortwahl: ›Haut die Franzosen‹, ›Das Schwert muss Blut sehen‹ – ist schon hart!« Zur Reichsgründung aber habe der patriotische Sänger in die nationalistische Stimmung gepasst. 1871 kam die Drei-Meter-Statue auf hohem Sockel vor die Schule des ehemaligen Kruzianers. »Wir«, wehrt Buder den Verdacht militanter Deutschtümelei ab, »gedenken hier der 1813 rund 25.000 Gefallenen und bedauern, dass die Menschheit bis heute nichts daraus gelernt hat.« Neben dem toten Denkmal duckt sich ein zweiter, lebender Zeuge: Der bubikopfartig austreibende Stumpf einer naturgeschützten Weißen Maulbeere ist etwa gleichaltrig. Von seinen Blättern sammelten vermutlich bis in die 1940er-Jahre Kreuzschüler die Raupen ab.
Aus: „Sturmauge“ von Una Giesecke, in: Stadtluft 6 – Das Bookzin zum Durchatmen, Verlag der Kunst Dresden, 2021
Die „Präsidentenbuche“ im Waldpark Weißer Hirsch
4. August 2021 von Dr. Michael Böttger
Die „Präsidentenbuche“ ist in alten und neueren Karten der Dresdner Heide eingezeichnet. Kaum bekannt ist, woher und aus welcher Zeit der Name des Baumes stammt. Die so bezeichnete Buche stand am HG-Weg (Hirschgrund- oder Heidegrundweg), links vor der Steinbrücke, die über den Stechgrundbach im Waldpark Weißer Hirsch führt, wenn man vom Weißen Adler kommt.
Heute steht dieser Baum nicht mehr. Er stürzte durch einen Sturm im Jahre 1927. Kurz darauf wurde eine junge Buche unterhalb und nahe des Waldpark-Grenzsteins des Verschönerungsvereins Weißer Hirsch/Oberloschwitz gepflanzt, die heute auch leider nicht mehr existiert. Zur Namensgebung dieser Buche sind zwei Deutungen überliefert: 1. Der Hirsch-Chronist Horst Milde schrieb: „Den Namen erhielt die Buche durch einen lustigen Brauch. Eine im Jahre 1831 im Guts-und Gasthof gegründete ‚Vollmondgesellschaft zum Weißen Hirsch‘ diente dem geselligen Beisammensein der Honoratioren der Umgebung. Natürlich wurde dabei viel geredet und der Durst gepflegt. Da bei den zeitweilig 70 Mitgliedern ein Vorstand gebraucht wurde wählte man alljährlich einen neuen, der sich „Präsident“ nennen durfte. Ort der Wahl war „der schaurige Forst am rauschenden Bach“. Eine dort stehende Buche hieß fortan „Präsidentenbuche“. 2. Aus der Chronik des Weißen Hirschs von Stadtarchivarin Dr. Elisabeth Boer geht hervor, dass der Name „Präsidentenbuche“ auf den evangelischen Oberhofprediger Christoph Friedrich von Ammon (1766-1850) zurückzuführen sei. Ammon bekleidete die Funktionen eines Präsidenten des Landesconsistoriums (heute Landeskirchenamt) und war zugleich Geheimer Rat im Kulturministerium. Noch zu erforschen bleibt, ob Herr von Ammon ein Mitglied eben dieser „Vollmondgesellschaft zum Weißen Hirsch“ war. Abbildung: Die Präsidentenbuche am Poetenweg in den 1860er Jahren / Archiv Verschönerungsverein Weißer Hirsch/Oberloschwitz
Meine Lieblings-Radtour in Dresden
08. Juni 2021 von Jan Hübler
Seit 18 Jahren als Gästeführer in meiner Heimatstadt Dresden tätig, konstatiere ich in den letzten Jahren zunehmend Interesse an geführten Radtouren auch innerhalb der Stadtgrenzen. Das trifft sich insofern außerordentlich günstig, da ich selber seit frühen Kindertagen passionierter Radfahrer bin. Heute möchte ich Euch meine Lieblingstour vorstellen. Zum ersten Mal habe ich sie vielleicht mit 12 Jahren unternommen und war sofort hellauf begeistert von der Vielfalt der landschaftlichen Impressionen und natürlich vom Geschwindigkeitsrausch.
In Laubegast aufgewachsen, nutzte ich Anfang der 1970er Jahre die damals noch existierende Fähre über die Elbe und gelangte ohne Umwege direkt in den Ortskern von Niederpoyritz, kurbelte mit einiger Mühe den noch heute gepflasterten Steilanstieg hinein in den Helfenberger Grund. Oben auf der Höhe in Cunnersdorf lädt ein Radweg zum sanften Dahinrollen ein – der umfunktionierte ehemalige Bahndamm, der sich hinter Schönfeld malerisch gen Schullwitz fortsetzt. Auf freiem Feld als bald rechts zum Triebenberg abbiegen, mit 383 Metern über Meereshöhe die höchste Erhebung im Stadtgebiet Dresdens. Der Gipfel selber ist bewaldet. Das Gelände ist von der TU Dresden „okkupiert“ und kann bestenfalls umwandert werden. Eine bessere Fernsicht bietet die Straße gen Zaschendorf: ein wunderbares Panorama der Sächsischen Schweiz bis hin zum Osterzgebirge. Hinter dem Dorf sollte links ein kurzer knackiger Anstieg zum Borsberg kein Problem darstellen – mit 361 Höhenmetern der zweithöchste Stadtberg.
Zu DDR-Zeiten gab es hier eine beliebte Gastwirtschaft – längst vorbei… Also auf nach Pillnitz hinunter ins Elbtal. Es handelt sich um die Abfahrt meiner Kindheit. 60 Sachen sind kein Problem gewesen, in den Kurven ließ sich auch zuweilen ein Trabbi locker überholen. Was für ein Abenteuerrausch als Jugendlicher! Wer es gemütlicher liebt, kann in der zweiten Kurve einfach geradeaus fahren und gelangt auf einem Bergrücken über einen kurzen Waldweg zur Ruine auf dem Borsberg. Sie wurde im Zeitalter zarter Landschaftsempfindungen Ende des 18. Jahrhunderts zusammen mit einem romantischen Serpentinenweg angelegt, damit die hohen Herrschaften ein nahes Ziel vom Pillnitzer Schloss hinauf zum Lustwandeln vor Augen hatten. In den letzten Jahren ist die Ruine behutsam saniert worden und bietet mit Weinausschank, einer Aussichtsplattform und Sichtachse hinunter in den Schlosspark Muße zum Verweilen und Genießen.
Übrigens habe ich letztens auf dem Rennrad die 70 km/h Schallmauer auf der Borsbergabfahrt getoppt, verzichtete allerdings auf das Überholen eines VW`s. Man ist eben doch älter und reifer geworden…
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Lockvogel und Vogelbeerbaum – Vom Vogelfang in der Dresdner Heide
27. Mai 2021 von Diana Mirtschink
Der Fang von Wildvögeln zur Nahrungsbeschaffung wurde schon in der Steinzeit betrieben. Da für die Vogelstellerei über das 15. Jahrhundert hinaus das freie Jagdrecht galt, durfte es auch von der Bevölkerung ausgeübt werden. Das nutzten die Bewohner der Orte umliegend der Dresdner Heide sehr umfangreich, nicht nur für den Eigenbedarf, sondern darüber hinaus als Einkommensquelle. Vögel galten als Delikatesse und wurden auch an die kurfürstlich sächsische Hofküche geliefert. Besonders beliebt auf der Speisekarte waren die Ortolane, eine Finkenart. Der Gesang eines Ortolans soll Ludwig van Beethoven zur Fünften Symphonie inspiriert haben. Seit dem Mittelalter war es üblich, dass eine adlige Dame zur Zierde und zur Unterhaltung Singvögel hielt, meist Finken oder Amseln in Käfigen hielt. Wenn sie den Käfig ans Fenster stellte, war das ein Zeichen für den Liebhaber, dass er zu den Vögeln kommen sollte. Ein Schelm, der Arges dabei denkt.
Für den Vogelfang, nutze man bestimmte Orte im Wald, an denen die Vögel angelockt und mit Netzen gefangen wurden. Man nannte solch einen Ort Vogelherd. Als Lockmittel wurden Zweige von Wacholder – und Ebereschenbüschen verwendet. Auch zahme Vögel als Lockvögel oder Lockpfeifen kamen zum Einsatz, um die gefiederten Gesellen anzulocken. Die Hauptfangzeit war im Frühherbst. Zum Schutz und zur Erhaltung des Bestandes gab es von Weihnachten bis Bartholomäi (24. August) Fangverbot. Vogelherde und Stellbäume für die Netze trugen die Namen der Besitzer oder des amtlichen Vogelstellers und waren mit Zeichen markiert. Auch heute noch geben im Bereich der Dresdner Heide Namen wie „Vogelsteig“, „Am Vogelherd“ oder „Am Stellbaum“ Aufschluss auf die Ausübung des Vogelfangs. Selbst im 18. Jahrhundert wurde der Vogelfang noch umfangreich in den verschiedenen Revieren der Dresdner Heide betrieben und bis ins 19. Jahrhundert war Vogelfang eine beliebte Freizeitbeschäftigung oberer Gesellschaftsschichten.
Erfahren Sie bei unseren „Historischen Touren durch die Dresdner Heide“, wo sich Vogelherde befanden und hören Sie weitere Geschichten dieser Art.
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Wie der der Elchweg in Striesen zu seinem Namen kam
4. Mai 2021 von Dr. Alexander Klein
Begegnungen mit Elchen können fatale Folgen haben, wie der Begriff des Elchtests verrät, der aus der Automobiltechnik stammt und sich auf das Ausweichen vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis bezieht. Auch in der satirischen Dichtung kommen Elche vor. So hat der Karikaturist F.W. Bernstein erkannt, dass ihre schärfsten Kritiker früher selber welche waren.
In der Striesener Kleingartenanlage Flora 1, unweit der Stelle, wo die Jacobistraße in die Wittenberger Straße einmündet, gibt es tatsächlich einen Weg, der ganz offiziell „Elchweg“ genannt wird. Diese Bezeichnung entstammt weder dem zuvor erwähnten automobiltechnischen noch satirischen Zusammenhang, sondern geht auf eine tatsächliche Begebenheit zurück. Im September des Jahres 2001 bekam ein skandinavischer Elch Fernweh und durchquerte Russland, Polen und die Lausitz. Seine Reise endete in Dresden, wo er die verantwortlichen Ordnungskräfte eine Zeitlang in helle Aufregung versetzte. Versuche scheiterten, des Elches mittels eines Betäubungsgewehrs und eines Containers der Dresdner Feuerwehr habhaft zu werden. Die Reise des Elchs endete schließlich tragisch. In die Enge getrieben, versuchte er einen stählernen Gartenzaun zu überspringen und verletzte sich dabei tödlich. Seitdem erinnert der Name des Weges an das freiheitsliebende Tier. Elche werden in unseren Gefilden zwar eher selten gesichtet, aber es kommt vor. Es ist kein Problem für die massigen Tiere, große Strecken zu überwinden und Flüsse zu durchschwimmen. Auch 2014 besuchte ein Elch Dresden und schaffte es sogar in ein Bürogebäude in Dresden-Übigau.
Für mich sind die Ereignisse um den Elch mehr als eine Anekdote. Das Schicksal dieses unglücklichen Einzelgängers macht deutlich, wie sehr unsere Stadt mit dem Rest der Welt in Verbindung steht – auch dort, wo man dies nicht vermutet hätte. Dresden ist eben nicht zu verstehen, wenn man sich nicht klarmacht, dass die Stadt in Europa liegt und daher mannigfaltigen Einflüssen ausgesetzt ist – in der Kultur, in Politik und Gesellschaft, aber auch in der Ökologie.
Daran erinnere ich mich jedes Mal, wenn ich igeltour-Gästen die tragikomische Geschichte des Elches erzähle, dem ich so – zumindest ein Stückweit – auch ein Leben nach dem Tode ermöglichen kann.
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Stetzsch – Das Dorf am Fuße der Mobschatzer Alpen
21. April 2021 von Renate Gerner
1980 zog meine Familie nach Mobschatz; das liegt schon ziemlich weit oben über dem Elbtal. Aber erst in der Vorbereitung dieser Führung habe ich von Stetzschern erfahren, dass wir in den „Mobschatzer Alpen“ wohnen, die ihren höchsten Punkt in Brabschütz haben. Eine Führung zu erarbeiten ist wohl für jeden Gästeführer eine echte Herausforderung und ein Erlebnis zugleich. Meist weiß man zu Beginn nicht genau, auf was man sich einlässt. Gewöhnlich habe ich für fast all meine Themen, so auch für dieses, ca. zwei Jahre gebraucht, und resultierend aus den Fragen der Gäste und weiterer Recherchen zusätzliche Zeit für Aktualisierungen. Und noch immer bietet man mir Material dazu an.
Die Idee zu dieser Führung entstand auf einem der hübschen Hof-Trödelmärkte in Altstetzsch, die wir jetzt alle sehr vermissen. Trotz der geografischen Nähe zu Mobschatz hatte ich keine Ahnung und musste fast bei Null anfangen. Aber gerade das war sehr reizvoll: ich lernte bei meinen Befragungen sehr nette und auskunftsfreudige Stetzscher kennen, sogar einmal bei Kaffee und Kuchen von echtem Meißner. Selbst Försters Lebensmittel-Laden „Am Urnenfeld“, gebaut als Kneipe „Am Bahnschlösschen“ mit einer netten Wirtin, die an die Schüler der daneben liegenden Schule rote Fassbrause für 10 Pfennig ausschenkte, auch lange Schulhort zu DDR-Zeiten, wurde zur „stillen Post“, wenn man mir das immer sehr interessante Material aus der Vergangenheit des Dorfes übermitteln wollte. Da war z.B. die Geschichte des ersten Direktors der Schule, der in die Stadt „ging“, um Lehrbücher für seine Schüler einzukaufen. Schwer beladen durfte er auf dem Rückweg gegen eine Zigarre an den Lokführer vom Berliner Bahnhof aus mit der Eisenbahn Richtung Cossebaude fahren, musste aber in Stetzsch abspringen, weil es den Haltepunkt noch nicht gab.
Oder die Erzählung einer Schülerin, Tochter des o.g. Direktors, über ihre eigene Teilnahme an den Ausgrabungen direkt vor ihrer Schule ab 1884. Die Urnen, die man etwa von der Siedlung „An den Seegärten“ bis zum Dorfkern Altstetzsch ausgrub, eingebunden in Siedlungsreste, gehören in die Epoche der frühen Eisenzeit, 8. bis 4. Jh. v. Chr., gezeichnet und katalogisiert vom Landesamt für Vorgeschichte Dresden. Die Straße „Am Urnenfeld“ befindet sich genau in diesem Gebiet. Und jeder weiß nun endlich, warum sie diesen Namen trägt. Ältere Stetzscher Gäste schwärmen noch heute von den fantastischen Kuchen und Torten der Bäckerei Simon, erinnern sich aber auch gut an den eiskalten Winter 1947, als der Bäcker seine warme Backstube kurzerhand stundenweise zum Klassenzimmer umfunktionierte, um den „Präsenzunterricht“ zu sichern. Vieles hat sich seither geändert, nicht alles immer zum Guten. Wer schreibt das auf, wer macht Fotos, damit auch Gästeführer noch nach 50 Jahren vom Wissen der Altvorderen profitieren können?
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War Heinsius von Mayenburg der Erfinder der Zahnpasta in Tuben?
09. April 2021 von Peter Weidenhagen
Während meiner Führungen „Durch die Parks der Loschwitzer Elbschlösser“ kommen auf dem Eckberg oft Fragen wie diese: „Hier wohnte doch der Erfinder der Zahnpastatube?“. Eine Legende, die sich hartnäckig hält, entgegne ich dann. Sie geht nach wie vor durch die Presse und auch im aktuellen „Dresden Magazin 2021“ der Dresden Marketing Gesellschaft (DMG) wird in der Rubrik „Dresdens Zauber in Zahlen“ gar erwähnt, dass „1907 in Dresden die Zahnpasta von dem deutschen Apotheker Ottomar von Mayenburg erfunden wurde“. Vor Ort können können wir dann mit gut recherchierten Fakten Klarheit schaffen. Die Gäste reagieren erstaunt und sind dankbar dafür, wie wir Dresdner Geschichte in Geschichten präsentieren. Im blog.zahnputzladen.de/erfinder-der-tubenzahnpasta habe ich eine zum Thema überzeugende Darstellung gefunden.
„Oft wird der Dresdner Apotheker Ottomar Heinsius von Mayenburg (1865 – 1932), Besitzer der “Löwen-Apotheke” an der Ecke Altmarkt/Wilsdruffer Straße als Erfinder der Tubenzahnpasta genannt. Er produzierte ab 1907 die in wiederverschließbare Metalltuben abgefüllte Zahncreme Chlorodont. Zunächst stellte er die aus Bimssteinpulver, Calciumcarbonat, Kaliumchlorat, Minze, Seife und Glycerin bestehende Zahncreme in zwei Nebenräumen der Apotheke, dem “Laboratorium Leo” her. Bereits zehn Jahre später wurden die Leo-Werke in der Dresdner Neustadt errichtet. Durch geschicktes Marketing und dem in Zeitungen, an Litfaßsäulen und auf Reklameschildern zu lesenden Spruch “Du sollst zum Zähneputzen nur Chlorodont benutzen” entwickelten sich die Leo-Werke recht schnell zum damals größten europäischen Zahncremehersteller mit 1.000 Beschäftigten und 27 Niederlassungen in Deutschland, Europa und Übersee. Täglich wurden bis zu 150.000 Tuben der Marke Chlorodont produziert. Der Markenname leitet sich aus den griechischen Wörtern “chloros” (hellgrün) und “odon” (Zahn) ab.
Zahnarzt Sheffield war schneller
Dennoch gebührt der Ruhm, die erste Zahnpasta in Tuben hergestellt zu haben, einem anderen. Denn bereits 1879 hatte der in Amerika lebende Zahnarzt Washington Wentworth Sheffield (1827 – 1897) die Idee von einer Zahncreme in Tuben. Wobei er die Idee eigentlich von seinem Sohn Lucius hatte. Denn dieser beobachtete während eines Studienaufenthalts in Paris Kunstmaler und sah dabei die von den Malern verwendeten Farbtuben. Diese Tube hatte 1841 der amerikanische Maler John Goffe Rand, der sich beim Malen stets über eingetrocknete Farbe geärgert hatte, erfunden und zum Patent angemeldet. Es war eine Zinntube mit Schraubdeckel. “So eine Tube müsste doch auch für die hygienische Aufbewahrung von Zahnpasta geeignet sein” dachte Lucius und berichtete darüber seinem Vater. Ab 1881 wurde diese Idee unter dem Markennamen “Dr. Sheffield’s Crème Angelique Dentifrice” Wirklichkeit und auf den Markt gebracht. Damit war Dr. Sheffield’s Zahnpasta die weltweit erste Zahncreme in Tuben. Allerdings kaufte die Sheffield Dentifrice Co. ihre Quetschtuben zunächst bei externen Herstellern ein. Erst 1892 brachte man die erste Zahnpastatube aus eigener Herstellung auf den Markt und machte so die Zahnpastatube einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Auch der Wiener Carl Sarg entdeckte frühzeitig den Nutzen der Tube
In Europa hatte bereits 1887, also zwanzig Jahre vor von Mayenburg der Wiener Chemie-Unternehmer Carl Sarg (1832 – 1895) Zahnpasta in Tuben abgefüllt. Hierfür stellte er mit Hilfe von Glycerin und reinigenden Substanzen eine Paste her und füllte diese unter dem Namen “Kalodont” in Tuben aus Zinn. Mittlerweile ist das Zinn der Tube durch Kunststoff ersetzt. Doch das damals erfundene Prinzip der Zahnpasta-Aufbewahrung hat sich bis heute bewährt.“
Wer hat´s erfunden?
31. März 2021 von Rainer Nitzsche & Wolfgang Krusch
Ende 2016 ging eine Schlagzeile um die Welt: „William Salice – „Vater“ der Überraschungseier – im Alter von 82 Jahren gestorben“. Diese Meldung stimmt nur zum Teil. 1972 brachte die Firma Ferrero, bei der Salice seit 1960 tätig war, erstmals ihre Überraschungseier auf den Markt. Doch die Idee war nicht neu. Zu Ostern waren gefüllte Schokoladen-Eier in Italien bereits vorher weit verbreitet. Das Produkt wurde lediglich standardisiert, um es ganzjährig auf den Markt bringen zu können, seit 1974 auch in Deutschland.
Doch in Deutschland gab es ein ähnliches Produkt viel früher – aus Niedersedlitz, damals noch ein Dresdner Vorort. Der Niedersedlitzer Richard Otto Munkwitz hatte bereits 1907/08 gemeinsam mit dem Dresdener Kaufmann Friedrich Theodor Pester in der Bismarckstraße die Zuckerwarenfabrik Munkwitz & Pester gegründet. Produziert wurden verschiedene Süßwaren. Seit Mitte der 1910er Jahre hieß die Firma nach einem Wechsel des Geschäftspartners Munkwitz & Müller. Zur Steigerung des Absatzes ihrer Zuckerwaren gründeten Richard Munkwitz und Ferdinand Carl Müller Ende der 1920er Jahre die MuM-Automaten GmbH. Einer der Automaten – in Gestalt eines Storches – gab längliche Blechdosen mit einem Bild vom Storch mit Säugling sowie Kindersprüchen heraus. Ein anderer Automat hatte die Gestalt einer Henne. Nach dem Einwurf von zehn Pfennigen und dem Dreh an einer Kurbel gackerte die Henne und warf ein mit bunten Bildchen oder Sprüchen versehenes Blechei aus. In diesem waren die Süßigkeiten „versteckt“. Diese bunt bemalten Eier sind heute – ähnlich wie die in den Überraschungseiern enthaltenen Figuren – begehrte Sammelobjekte und können als Vorläufer der Kinder-Überraschungseier von Ferrero gelten. Den Originalschauplatz besichtigen und weitere Geschichte(n) erfahren kann man gern bei unseren Führungen durch Niedersedlitz.